krebsgesellschaft.de, 12.08.2015

EHA & ICML 2015

Tyrosinkinasehemmer bei CML

  • Therapieziel bei der chronisch myeloischen Leukämie (CML) ist das Erreichen einer tiefen molekularen Remission. Wird dieses Ziel erreicht, haben die Patienten die Chance, dass die Therapie im Rahmen einer Studie abgesetzt werden kann und die Krankheit möglicherweise als geheilt gilt.
  • Erreichbar wurde dieses Ziel durch die Einführung der Tyrosinkinasehemmer, mit denen erstaunliche Erfolge in klinischen Studien erzielt wurden.
  • Zu prüfen, ob auch Patienten außerhalb klinischer Studien von der Einführung der neuen Substanzen profitieren, ist ein Anliegen des europäischen Patientenregisters EUTOS, in dem möglichst alle CML Patienten erfasst und dokumentiert werden sollen.


Seit der erfolgreichen Einführung von Imatinib wurden weitere Tyrosinkinase-Inhibitoren mit verbesserter Wirksamkeit entwickelt. Nilotinib, ein Tyrosinkinasehemmer der 2. Generation, wirkt BCR-ABL-spezifischer, inhibiert wie Imatinib auch die Tyrosinkinasen PDGFR und KIT und zeigt eine bessere zelluläre Bioverfügbarkeit und erhöht im Vergleich zu Imatinib die Chance auf eine tiefe molekulare Remission wie in der ENESTnd-Studie gezeigt wurde [1].

ENEST1ST-Studie: Studien-Design

Beim 20. Kongress der European Hematology Association (EHA) in Wien wurden die Ergebnisse der ENEST1ST Studie präsentiert. In der offenen, multizentrischen Phase IIIb Studie wurde Nilotinib in der Standarddosierung von zweimal täglich 300 mg bei erwachsenen Patienten mit neu diagnostizierter Philadelphia-Chromosom- und/oder BCR-ABL-positiver chronisch myeloischer Leukämie in der chronischen Phase untersucht.

Teilnehmer der Studie waren 1089 Patienten aus 26 europäischen Ländern mit CML in der chronischen Phase. Die Patienten waren im Mittel 53 Jahre alt, 59% waren männlich, 90,3% waren Philadelphia-Chromosom-positiv und 97% hatten typische BCR-ABL Transkripte. 16,9 % der Patienten hatten bereits Imatinib erhalten, allerdings maximal für 3 Monate. Die Patienten hatten unterschiedliche prognostische Scores (niedriger EUTOS Score: 82,6%; hoher EUTOS: 8,6%).

Bei 80,9% der Patienten konnte die Behandlung vollständig über 24 Monate durchgeführt werden. Vorzeitig beendet wurde die Therapie bei 19,1% der Teilnehmer, wobei die meisten Therapieabbrüche auf unerwünschte Wirkungen zurückzuführen waren (11,7%).

Hohe Rate tiefer Remissionen

Primärer Endpunkt der Studie war der Anteil der Patienten, die innerhalb von 18 Monaten eine tiefe molekulare Remission erreichen, also einen Abfall ihrer BCR-ABL-Werte auf 0,01% oder weniger (MR4-Rate).

Nach 18 Monaten der Therapie mit Nilotinib hatten 38,4% aller Studienteilnehmer mit typischen Transkripten (n=1052) eine MR4-Remission erreicht (95%-KI: 35,5–41,3%). Bei den Patienten, die bisher noch kein Imatinib erhalten hatten, wurden noch weit bessere Ergebnisse erzielt: Hier erreichten 70,5% eine MR4-Remission, bei weiteren 16,6% lagen die Werte für die BCR-ABL-Transkripte zwischen 1 und 10% und bei 2,6% der Patienten lagen die Werte für BCR-ABL-Transkripte über 10%.

Insgesamt kam es während der Studie nur bei sechs Patienten (0,6%) zu einem Fortschreiten in die akzelerierte Phase oder Blastenkrise.

Verträglichkeit der Therapie

Die häufigsten unerwünschten Wirkungen waren Rash (21,4%), Juckreiz (16,5%) und Kopfschmerzen (15,2%). Weiter erlitten 1,9% der Patienten eine periphere arterielle Verschlusskrankheit, 3,4% eine ischämische Herzkrankheit und 0,8% eine zerebrale ischämische Erkrankung. Weitere 0,6% der Patienten entwickelten pleurale Ergüsse.

Grad 3/4-Nebenwirkungen, die auf eine Lebertoxizität oder den Pankreas zurückzuführen waren, kamen bei 0,4% bzw. 0,6% der Patienten vor. Thrombozytopenien vom Grad 3/4 betrafen 6,0% und 4,8% der Patienten. Die häufigsten Grad 3/4 Nebenwirkungen waren erhöhte Phosphat- (14,3%) und Lipasewerte (7,2%).

Nilotinib als erfolgreiche Erstlinientherapie bestätigt

Die Ergebnisse stützen die Gabe von Nilotinib als Erstlinientherapie bei Patienten mit neu diagnostizierter CML in der chronischen Phase und bestätigen die Remissionsraten der ENESTnd-Studie. Während die Remissionen in der ENESTnd-Studie zentral bestimmt ausgewertet wurden, waren bei der nun vorliegenden Studie viele verschiedene Zentren in Europa beteiligt. Dies zeigt, dass es inzwischen gelungen ist, gut definierte Standards für die Bestimmung einer tiefen Remission zu etablieren. Erfreulich ist außerdem, dass trotz des etwas höheren Lebensalters der Patienten keine schlechtere Verträglichkeit gegenüber ENESTnd beobachtet wurde. Möglicherweise ein Zeichen, dass das Nebenwirkungsmanagement mit Tyrosinkinasehemmern weiter verbessert werden konnte.

EUTOS: Erreichen die neuen Innovationen alle Patienten?

Die guten Remissionsraten und erfreulichen Behandlungsergebnisse mit den Tyrosinkinasehemmern wurden vorwiegend in klinischen Studien erreicht. Dies birgt die Gefahr, dass eine gewisse Patientenselektion gegenüber den Patienten in der Realität des klinischen Alltags vorliegt. Mit EUTOS wurde ein populationsbezogenes Patientenregister begründet, in dem Therapie und Verlauf von inzwischen 2904 Patienten mit neu diagnostizierter Philadelphia-Chromosom- und/oder BCR-ABL-positiver aus 20 europäischen Ländern dokumentiert sind.

Erfreulicherweise wurde die seltene Erkrankung bei den meisten Patienten während der chronischen Phase diagnostiziert (94%), nur bei 3,5% wurde die Diagnose in der akzelerierten Phase und bei 2% bei bestehender Blastenkrise gestellt.

57% der registrierten Patienten sind männlich, das mittlere Alter liegt bei 56 Jahren. Chromosomale Abnormitäten bei Ph+-Zellen wurden bei 11% der Patienten dokumentiert. 12% der Patienten hatten einen hohen EUTOS-Risikoscore.

Für 1954 Patienten sind die Art der Erstlinientherapie und der weitere Verlauf dokumentiert.

Tyrosinkinasehemmer werden breit eingesetzt

Es zeigt sich klar, dass die Tyrosinkinasehemmer auch in der Praxis an einem breiten Patientenspektrum angewendet werden: 81% der Patienten hatten Imatinib erhalten, 12% Nilotinib und 3% Dasatinib, 4 % hatten eine Therapie basierend auf Hydroxyharnstoff erhalten [3]. Die Tyrosinkinasehemmer der 2. Generation wurden häufiger bei Patienten mit hohem EUTOS Score und chromosomalen Auffälligkeiten eingesetzt.

Der Anteil Patienten, die mit den neuen Substanzen behandelt wurden erscheint insgesamt zwar gering, aber dies ist sehr wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass die neueren Substanzen während des Erfassungszeitraums teilweise noch im Rahmen klinischer Studien getestet wurden.

Tyrokinasehemmer sind effektiv

Die Patienten erreichten im Mittel eine zytogenetische Remission ihrer Erkrankung innerhalb von acht Monaten, bei Patienten mit hohem EUTOS-Score nach 13 Monaten. Deutlich rascher konnte mit den Tyrosinkinasehemmern der 2. Generation eine zytogenetische Remission erzielt werden (innerhalb von 5 Monaten versus 8 Monaten bei Imatinib) [3].

Die Überlebenschancen der Patienten waren sehr gut, nach 12 bzw. 24 Monaten waren 95 bzw. 92% der Patienten weiter am Leben.

Trotz der vergleichsweise hohen Kosten, die eine Therapie  mit einem Tyrosinkinasehemmer bedeutet, profitieren die Patienten dem Register zu Folge auch außerhalb klinischer Studien von dieser innovativen Therapie.

 

In Zusammenarbeit mit Prof. Martin Dreyling, München

 

Quellen:

[1] Saglio G, et al. Nilotinib versus imatinib for newly diagnosed chronic myeloid leukemia. N Engl J Med 2010; 362: 2251–9.
[2] Hochhaus A, et al. Efficacy and safety of frontline Nilotinib in 1089 european patients (pts) with chronic myeloid leukemia in chronic phase (CML-CP): ENEST1ST final analysis. EHA 2015 Abstract S486.
[3] Hoffmann VS, et al. Analysis of treatment and outcome data of 2904 patients from the EUTOS population-based registry. EHA 2015 Abstract S487.

(bma)