krebsgesellschaft.de, 10.06.2011

ASCO 2011

Neoadjuvante Radiochemotherapie des Rektumkarzinoms

Beim fortgeschrittenen Rektumkarzinom stellt die neoadjuvante 5-Fluorouracil (5-FU) -basierte Radiochemotherapie gemäß der aktuellen S3-Leitlinie den Therapiestandard dar. Nach neoadjuvanter Radiochemotherapie ist eine adjuvante Chemotherapie indiziert, für die ebenfalls eine 5-FU-Monotherapie oder eine Kombination aus 5-FU/Folinsäure empfohlen wird. Die drei kürzlich auf dem ASCO vorgestellten Studien hatten in der neoadjuvanten Radiochemotherapie neue Schemata überprüft.

Die Studienergebnisse sorgten für Aufsehen in der “oral abstract”-Session und wurden sogar in den ASCO-News erwähnt. “Novel Agent demonstrates non-inferiority to 5-FU”, so die Überschrift auf den Bildschirmen im Kongresszentrum. Dabei sind die Substanzen so neu nicht: Es handelt sich um die orale 5-FU-Vorstufe Capecitabin und das Platin-Derivat Oxaliplatin.

Nicht-Unterlegenheit von Capecitabin
In der amerikanischen Studie NSABP R-04 wurde bei 1.608 Patienten mit Rektumkarzinom im klinischen Stadium II oder III die Nicht-Unterlegenheit einer Intensivierung bzw. Modifikation der präoperativen Radiochemotherapie mit Capecitabin im Vergleich zu 5-FU gezeigt [2]. Die Teilnehmer erhielten randomisiert in vier verschiedenen Behandlungsarmen eine präoperative Radiochemotherapie mit 5-FU-Infusion – mit oder ohne Oxaliplatin (OX) – bzw. Capecitabin (CAPE) statt 5-FU, wiederum  mit oder ohne Oxaliplatin. Die Analyse erfolgte im 2x2 faktoriellen Design, für den Vergleich 5-FU vs. Capecitabin und 5-Fuoder Capecitabin +/- Oxaliplatin.

In Bezug auf die nun vorgestellten lokalen Endpunkte fanden sich keine signifikanten Unterschiede zwischen 5-FU und Capecitabin in Bezug auf die Sphinkter-erhaltende Chirurgie (sphincter-saving surgery: SSS), das komplette pathologische Ansprechen (complete pathologic response: pCR) und das chirurgische Downstaging (surgical downstaging: SD). Die endgültige Analyse der lokalen Tumorkontrolle kündigten die Autoren für Herbst 2013 an.

Überlegenheit von Capecitabin
Die deutsche Phase-III-Studie der Mannheimer Arbeitsgruppe ergab sogar eine Überlegenheit von Capecitabin gegenüber 5-FU, obwohl auch sie auf Nicht-Unterlegenheit angelegt war. Hier erhielten 392 Patienten mit lokal fortgeschrittenem Rektumkarzinom im UICC Stadium II oder III perioperativ – also entweder neoadjuvant im Rahmen einer präoperativen Radiochemotherapie, oder bei einer adjuvanten Radiochemotherapie 5-FU vs. Capecitabin. Die gleiche Therapie wurde als adjuvante Systemtherapie postoperativ fortgesetzt; diese Studie hat deswegen nicht nur lokale Endpunkte. Nach einem medianen Follow-up von 52 Monaten war die Lokalrezidivrate in beiden Armen sehr niedrig (Capecitabin 6%, 5-FU 7%, p=0,665). Beim 5-Jahres-Gesamtüberleben zeigte sich für Capecitabin, wie als primärer Endpunkt geplant, auch eine Nicht-Unterlegenheit (Capecitabin 75,7% vs. 5-FU 66,6%, p=0,0004). Der Test auf Überlegenheit ergab sogar eine grenzwertige Signifikanz für Capecitabin (p=0,053).

Beim 3-Jahres krankheitsfreien Überleben schnitt Capecitabin signfikant besser ab (75,2% vs. 66,6%, p=0,034). Die Effektivität war hinsichtlich der Verhinderung der distalen Metastasierung besonders hoch (18,8% vs. 27,7%, p=0,037). Unter Capecitabin traten häufiger Hand-Fuß-Hautreaktionen, Fatigue und Proktitis auf, unter 5-FU hingegen Leukopenie. Nach Ansicht der Autoren löst Capecitabin aufgrund der höheren Wirksamkeit künftig womöglich 5-FU als Standard in der perioperativen Therapie des lokal fortgeschrittenen Rekturmkarzinoms ab.

Widersprüchliche Daten zu Oxaliplatin
Die vorgestellten Daten zu Oxaliplatin waren hingegen widersprüchlich. So konnte das Platin-Derivat in der amerikanischen Studie NSABP R-04 keinen zusätzlichen positiven Effekt erzielen[2]. Zugleich hatten Patienten unter Oxaliplatin signifikant mehr Grad-3/4-Diarrhöen.

In der deutschen Phase-III-Studie CAO/ARO/AIO-04 zeigte sich unter Oxaliplatin demgegenüber ein ebenso geringes, hier aber signifikant besseres Ansprechen, - und in dieser Studie auch ohne erhöhte Toxizität. Bei 637 Patienten mit Rektumkarzinom bestand die Behandlung im Standardarm aus präoperativer Radiochemotherapie mit 5-FU, Operation und adjuvanter Chemotherapie mit 5-FU, gemäß der deutschen AIO/ARO/CAO-94-Studie. Im zweiten Arm befanden sich 628 Patienten, die mit präoperativer Radiochemotherapie inklusive 5-FU/Oxaliplatin, Operation und adjuvanter Chemotherapie mit einem modifizierten FOLFOX6-Regime (Oxaliplatin/5-FU/Folinsäure) behandelt wurden. Die Auswertung auf dem ASCO 2011 beschränkte sich auf frühe sekundäre Endpunkte.

Demnach lag die Rate eines kompletten pathologischen Ansprechens bei 13,1% in Arm 1 und bei 17,6% in Arm 2 (p=0,033). Die präoperativen Grad-3/4-Toxizitäten waren mit 21,6% bzw. 22,9% vergleichbar. Auch die postoperativen Komplikationsraten unterschieden sich nicht (21,0% bzw. 21,9%). Die R0-Resektionsrate war mit 95,4% in beiden Armen hoch, und bemerkenswert (und auch positiv kommentiert) ist die sehr hohe Rate (ca. 75%) an sehr guten TME-präparaten, die das hohe Niveau der Rektumchirurgie in Deutschland aufzeigt . Um den primären Endpunkt, das krankheitsfreie Überleben, zu evaluieren, ist ein längeres Follow-up notwendig Dieses Ziel verfolgt auch eine weitere, in Deutschland beheimatete Studie der PETACC, bei der perioperative Capecitabin +/- Oxaliplatin randomisiert untersucht wird Diese beiden Studien werden die wertigkeit von Oxaliplatin endgültig klären.


Quellen:

[1] S3-Leitlinie „Kolorektales Karzinom“. Z Gastroenterol 2008;46:1–73
[2] Roh MS, et al. The impact of capecitabine and oxaliplatin in the preoperative multimodality treatment in patients with carcinoma of the rectum: NSABP R-04. J Clin Oncol 2011;29(Suppl): Abstract 3503
[3] Hofheinz R, et al. Capecitabine (Cape) versus 5-fluorouracil (5-FU)–based (neo)adjuvant chemoradiotherapy (CRT) for locally advanced rectal cancer (LARC): Long-term results of a randomized, phase III trial. J Clin Oncol 2011;29(Suppl): Abstract 3504
[4] Roedel C, et al. Preoperative chemoradiotherapy and postoperative chemotherapy with 5-fluorouracil and oxaliplatin versus 5-fluorouracil alone in locally advanced rectal cancer: First results of the German CAO/ARO/AIO-04 randomized phase III trial. J Clin Oncol 2011;29(Suppl): Abstract LBA3505

(pe)

In Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Dirk Arnold, Hamburg