krebsgesellschaft.de, 14.03.2014

DKK 2014

DKK 2014: Plenarsitzung Lungentumoren: Thoraxonkologie – Dimensionen der Individualisierung

In der Therapie des fortgeschrittenen Lungenkarzinoms vollzieht sich seit einiger Zeit ein Paradigmenwechsel weg von der klassischen Histologie hin zu molekularen Subgruppen. Auf Basis molekularbiologischer Erkenntnisse zeichnet sich ab, dass diese Gruppen zwar immer kleiner werden. Bei jährlich 52.000 Erstdiagnosen handelt es sich jedoch um relevante Patientenzahlen. [1] Dies war übereinstimmender Tenor der Veranstaltung „Thoraxonkologie – Dimensionen der Individualisierung“ im Rahmen der Plenarsitzung Tumoren der Lunge beim Deutschen Krebskongress 2014 in Berlin. Unter Vorsitz von Dr. Karl-Matthias Deppermann, Erfurt, und Dr. Wilko Weichert, Heidelberg, wurde das Thema aus Sicht eines Onkologen, eines Pathologen und eines Pneumologen beleuchtet. Alle Referenten sahen die Individualisierung der Therapie als große Chance, um wirksame und längerfristige Therapiekonzepte zu entwickeln.

Individualisierte Medizin habe verschiedene Dimensionen, so Prof. Michael Thomas, Heidelberg. Daher sei es wichtig, auch begrifflich zwischen stratifizierter, personalisierter und individualisierter Medizin zu differenzieren. Schwerpunkt seines Vortrags war die stratifizierte Medizin. Diese umfasst die Wahl medikamentöser Therapieansätze auf Basis einer prädiktiven Diagnostik.

Zielgerichtete Konzepte haben bereits Stellenwert in der Praxis
Sofern Translokationen, Mutationen oder eine Rezeptorüberexpression festgestellt werden, können verfügbare Therapien eingesetzt werden. In der klinischen Praxis betrifft dies NSCLC-Patienten mit aktivierenden EGFR-Mutationen und ALK-Translokationen, die zusammen etwa ein Fünftel der Adenokarzinome ausmachen. Bei Vorliegen dieser Veränderungen können EGFR-TKI oder der ALK-Inhibitor Crizotinib eingesetzt werden. Unter Therapie mit EGFR-TKI wurden in Studien Ansprechraten zwischen 60% und 80% erreicht. Darüber hinaus profitierten geeignete Patienten von einer signifikanten Verlängerung des progressionsfreien Überlebens (PFS). [2,3,4] Mit Integration eines EGFR-TKI in die Behandlung EGFR-mutationspositiver Patienten konnte ein für diese Indikation langes medianes Gesamtüberleben von bis zu 38 Monaten erreicht werden. [5] Zielgerichtete Therapien für weitere Subgruppen, z.B. mit K-Ras-Mutation, einem ROS1-Rearrangement oder einer RET-Fusion, werden derzeit klinisch geprüft. [6,7,8] Weitere Forschungsansätze beim Lungenkarzinom werden mit Immuntherapien verfolgt. Erste ermutigende Ergebnisse zu gegen PD-1 gerichteten Strategien wurden bereits publiziert. [9]

Re-Biopsien werden immer wichtiger
Eine wichtige Herausforderung stellt die Überwindung von Resistenzen dar. Um weitere wirksame Therapien einsetzen zu können, werden künftig Re-Biopsien einen hohen Stellenwert haben. Aufbauend auf Erkenntnissen, dass die Mutation T790M bei EGFR-TKI-Resistenz eine wichtige Rolle spielt und eine ALK-Translokation auch in der Resistenzsituation weiter relevant ist, werden derzeit neue Wirkstoffe entwickelt.

„Für alle onkogenen Treibermutationen gibt es Studien“
Prof. Reinhard Büttner, Köln, reflektierte die aktuellen Entwicklungen beim Lungenkarzinom aus molekularpathologischer Sicht. Nach wie vor gebe es in dieser Indikation einen „extrem hohen medical need“, so der Experte. „Welches Therapiekonzept für welchen Patienten?“ – diese Frage müsse beantwortet werden, um den bestmöglichen Nutzen aus den neuen Ansätzen zu ziehen. Molekulare Biomarker haben dabei nicht nur prädiktive, sondern auch prognostische Relevanz.

Welche Anforderungen die Verarbeitung molekularbiologischer Informationen in der Praxis stellt, verdeutlichte Prof. Büttner am Beispiel von Multiplex-Verfahren, die innerhalb des Netzwerks Genomische Medizin eingesetzt werden. Mit ihrer Hilfe können für jeden Patienten individuelle Genprofile erstellt werden. Derzeit lassen sich damit 29 lungenkrebsspezifische Gene bzw. 140 Exone analysieren. Die Auswertung liefert laut Prof. Büttner Gigabasen an Informationen (Gigabase = eine Milliarde Buchstaben des genetischen Codes). Diese müssen nach bekannten und nicht relevanten SNPs sowie echten Mutationen gefiltert werden. Die Mutationen werden wiederum hinsichtlich ihrer Häufigkeit und ihrer Funktionalität (aktivierend/nicht aktivierend) untersucht. Im letzten Schritt wird geprüft, ob es zugelassene Therapien oder klinische Studien gibt, in denen der Patient selektiv, entsprechend seinem genetischen Profil, behandelt werden kann. Letztlich, so der Experte, gebe es „für alle onkogenen Treibermutationen Studien“.
Ein Beispiel für die Validierung und Translation eines Biomarkers in die klinische Praxis ist die FGFR1-Amplifikation. In Tiermodellen und präklinischen Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass Patienten mit einem Plattenepithelkarzinom, bei denen diese Alteration vorliegt, sensitiv sind für FGFR1-TKI. Daran anknüpfend wurde eine klinische Phase-1-Studie initiiert, deren Ergebnisse beim ASCO 2014 präsentiert werden. Jedoch gibt es auch bei den genetischen Veränderungen Variationen, beispielsweise kann die Zusammensetzung der Amplifikation unterschiedlich sein. Daher, so der Experte, seien Biomarker „nicht in Stein gemeißelte Eins-zu-eins-Parameter“. Vielmehr müssten „die gesamten Signalwege und die genetischen Aberrationen in ihrer Gänze“ verstanden werden.

Zusammenfassend betonte Prof. Büttner, dass die genomische Diagnostik entscheidend dazu beitrage, eine so heterogene und komplexe Erkrankung wie das Lungenkarzinom besser zu verstehen. Über onkogene Treibermechanismen könnten Subgruppen identifiziert und entsprechende Therapien entwickelt werden. Darüber hinaus ermögliche sie ein besseres Staging multipler Tumoren. Wichtig sei es, nicht nur singuläre Biomarker zu bestimmen, sondern den gesamten Signalweg über die Zeit zu verfolgen. Re-Biopsien werden daher auch aus seiner Sicht künftig eine wichtige Rolle spielen, um Patienten länger therapieren zu können.

Patientenseitiger Faktoren bei der Therapieentscheidung berücksichtigen
Individualisierung bedeutet auch, die Therapie an patientenseitige Faktoren anzupassen. Gemäß der Definition von Prof. Thomas ist dies die Aufgabe der personalisierten Medizin, während die individualisierte Medizin die medizinischen Maßnahmen an individuellen Zielen und der individuellen Präferenz des Patienten ausrichtet. Wie Dr. Christian Schumann, Ulm, ausführte, gehören zu den patientenseitigen Faktoren Alter, ECOG-Performance-Status (ECOG-PS), Komorbiditäten, Lebensqualität, Risiken und der Raucherstatus.

Alter und ECOG-Performance-Status können nicht als alleinige Kriterien für eine Therapieentscheidung herangezogen werden. Dies bestätigen Studiendaten, denen zufolge die für das Lungenkarzinom typische Kohorte älterer Patienten (70-89 Jahre) von einer Kombinationschemotherapie profitieren kann. Patienten mit einem ECOG-PS ≥ 2 sind in klinischen Studien unterrepräsentiert. Jedoch konnte sowohl für eine Kombinationschemotherapie als auch für Erlotinib gezeigt werden, dass diese Strategien bei dieser Subgruppe wirksam sind. [10,11,12]

Ein wichtiges Therapieziel besonders in der palliativen Situation ist die Lebensqualität. Diese sollte nicht nur für die initiale Patientenselektion, sondern auch während der Therapie regelmäßig erfasst werden, so Dr. Schumann. Studiendaten weisen zudem darauf hin, dass die Lebensqualität prognostisch für das Gesamtüberleben ist. [13] 

Ein weiteres Problem sind bei Lungenkrebspatienten Komorbiditäten. Diese nehmen mit dem Alter zu, wobei kardiovaskuläre Erkrankungen im Vordergrund stehen. Eine aktuelle Analyse zeigt, dass mit der Zunahme von Begleiterkrankungen die Zahl der leitliniengerechten Therapien sinkt. Um eine bessere Prognose zu erreichen, sei es daher wichtig, Komorbiditäten mit in das Therapiekonzept zu integrieren, so Dr. Schumann.

Highlight der Plenarsitzung war die Keynote-Lecture von Prof. Jeffrey M. Peppercorn, Durham (USA) zum Thema “Individualizing Care for Patients with Advanced Cancer”. Welche Aspekte darin besonders beleuchtet wurden,erläuterte Prof. Peppercorn in einem Interview auf dem DKK .

(as)

Quellen:
[1] Krebs in Deutschland 2009/2010. Zentrum für Krebsregisterdaten GEKID, Robert Koch-Institut, Berlin 2013
[2] Mok T et al. Gefitinib or carboplatin-paclitaxel in pulmonary adenocarcinoma. NEJM 2009; 361:947-957
[3] Zhou C. et al. Erlotinib versus chemotherapy as first-line treatment for patients with advanced EGFR mutation-positive non-small-cell lung cancer (OPTIMAL, CTONG-0802): a multicentre, open-label, randomised, phase 3 study. Lancet Oncol 2011;12:735-742
[4] Sequist LV et al. Phase III study of afatinib or cisplatin plus pemetrexed in patients with metastatic lung adenocarcinoma with EGFR mutations. J Clin Oncol 2013; 31(27):3327-3334
[5] Mok T et al. Treating patients with EGFR-sensitizing mutations: first line or second line- - is there a difference? J Clin Oncol 2013(31):1081-1088
[6] Capelletti M et al. Discovery of recurrent KIF5B-RET fusions and other targetable alterations from clinical NSCLC specimens. J Clin Oncol 30, 2012 (suppl; abstr 7510)
[7] Shaw T et al. Clinical activity of crizotinib in advanced non-small cell lung cancer (NSCLC) harboring ROS1 gene rearrangement. J Clin Oncol 2012 (30); abstr. 7508
[8] Jänne PA et al. Selumetinib Plus Docetaxel for KRAS-Mutant Advanced Non-Small-Cell Lung Cancer: A Randomised, Multicentre, Placebo-Controlled, Phase 2 Study. Lancet Oncol 2013(14):38
[9] Topalian S et al. Safety, Activity, and Immune Correlates of Anti–PD-1 Antibody in Cancer. N Engl J Med 2012(366): 2443
[10] Quoix E et al. Weekly paclitaxel combined with monthly carboplatin versus single agent therapy in patients aged 70 to 89: IFCT-0501 randomized phase III study in advanced non-small cell lung cancer. ASCO 2010; abstr. #LBA2
[11] Lilenbaum RC et al. A randomized phase III trial of single-agent pemetrexed (P) versus carboplatin and pemetrexed (CP) in patients with advanced non-small cell lung cancer (NSCLC) and performance status (PS) of 2. J Clin Oncol 30, 2012 (suppl; abstr. 7506)
[12] Inoue A et al. First-Line Gefitinib for Patients With Advanced Non–Small-Cell Lung Cancer Harboring Epidermal Growth Factor Receptor Mutations Without Indication for Chemotherapy. J Clin Oncol 2009;27: 1394-1400
[13] Sloan JA et al. Relationship Between Deficits in Overall Quality of Life andNon–Small-Cell Lung Cancer Survival. J Clin Oncol 2012, 30(13): 1498-1504