krebsgesellschaft.de, 13.04.2012

DKK 2012

Langzeitüberleben von Patienten nach Krebs

Leben mit Krebs: Langzeitüberlebende stehen im Fokus

Durch die Therapieerfolge in den letzten Jahrzehnten wächst die Zahl der Langzeitüberlebenden mit Krebs. Doch bisher standen diese Cancer Survivor kaum im Fokus. Der DKK 2012 greift dieses Thema im Rahmen der Schwerpunktsitzung "Long-Term Survivorship" auf und beleuchtet vor allem die gesundheitlichen Spätfolgen der Tumorbehandlung und die Nachsorge.

Brust-, Kolorektal- und Prostatakrebs: Tumor und Behandlung hinterlassen Spuren
Das Lebenszeitrisiko für eine Krebsdiagnose liegt bei 34%, d.h. jeder dritte Patient wird die Diagnose Krebs erhalten, wie Dr. Volker Arndt (Heidelberg) an den Anfang seiner Präsentation stellte. Nach aktuellen Schätzungen des Robert-Koch-Instituts leben gegenwärtig in Deutschland etwa 3,2 Millionen Menschen mit der Diagnose Krebs. Mit der Alterung der Gesellschaft und verbesserten Prognosen beobachten wir einerseits eine deutliche Zunahme der Cancer Survivor in der älteren Population (65+) und andererseits finden sich bei Krebspatienten psychosoziale und körperliche Einschränkungen, die die Lebensqualität auch noch viele Jahre nach Therapieende mindern. In den beiden bevölkerungsbezogenen Studien VERDI (Frauen mit Brustkrebs) und CAESAR (Patienten mit Brust-, Kolorektal- oder Prostatakrebs) war die Lebensqualität vor allem in der jüngeren Patientengruppe eher durch psychosoziale Defizite eingeschränkt. Dazu kamen Fatigue, Schlafstörungen sowie finanzielle Sorgen. Zwar verbesserten sich diese Symptome in den ersten Jahren nach Diagnose, sie waren aber auch noch nach zehn Jahren präsent. Die ältere Patientengruppe (65+) hatte dagegen in den ersten Jahren nach der Diagnose einen gegenüber den Bevölkerungskontrollen vergleichbaren Gesundheitszustand [1-3]. "Krebspatienten verspüren auch zehn Jahre nach Diagnose noch gesundheitliche Folgen. Da sich am häufigsten psychosoziale Defizite zeigen, ist die psychoonkologische Betreuung besonders wichtig", lautete das Fazit.  

Hodenkrebs: Spättoxizitäten schmälern Therapieerfolge
Dr. Jan Oldenburg (Oslo) berichtete über seine Erfahrungen bei Patienten mit einem testikulären Keimzelltumor, dem häufigsten bösartigen Tumor bei jungen Männern. Bei Hodenkrebs wird eine außergewöhnliche Zunahme der Inzidenz beobachtet, wobei geographische Unterschiede bestehen. Die Heilungsraten sind dank heutiger Behandlungsmöglichkeiten (Chirurgie, Chemo- und Strahlentherapie) mit über 90% beachtlich. Dieser Erfolg wird leider durch therapiebedingte Spätfolgen getrübt. So ist das Risiko, an anderen Erkrankungen des Herzens oder der Lunge zu sterben, bei Patienten nach Hodenkrebs höher als in der Normalbevölkerung [4]. Auch das Risiko für gonadale und sexuelle Störungen ist höher [5]. Als weitere Spätfolgen nannte Oldenburg Fatigue, Parästhesien und Hörverlust. Zu den körperlichen Problemen kämen bei jedem dritten Langzeitüberlebenden Rezidivängste hinzu: Das ergab eine Befragung in Norwegen, dem Land mit der höchsten Hodenkrebs-Inzidenz [6].

Hodgkin-Patienten sind die größte Gruppe der Cancer Survivor
Seit Einführung der Polychemotherapie in Kombination mit der Involved-Field-Strahlentherapie (IFRT) hat sich das Hodgkin-Lymphom ,zur malignen Erkrankung mit der besten Prognose bei Erwachsenen entwickelt. Allein in Deutschland leben derzeit etwa 50.000 ehemalige Hodgkin-Patienten. Aufgrund des meist jüngeren Alters besteht bei ihnen ein besonders hohes Risiko für therapiebedingte Spätfolgen wie Zweittumoren, Herz- und Lungenerkrankungen sowie Fatigue und Infertilität [8]. Die Erforschung therapiebedingter Spätfolgen ist daher zur weiteren Therapieoptimierung äußerst wichtig, wie Prof. Dr. Peter Borchmann (Köln) von der German Hodgkin Study Group GHSG betont. So konnte mit der heute üblichen IFRT das Risiko für Zweittumoren deutlich reduziert werden [9]. Bei der Infertilität besteht hingegen noch großer Verbesserungsbedarf, wie Borchmann weiter ausführte. Auch die vierte Studiengeneration der GHSG (HD-10, -11 und -12) zielt auf die weitere Therapieoptimierung unter besonderer Berücksichtigung der therapiebedingten Toxizitäten hin. Erstmalig werden auch Aspekte der Lebensqualität prospektiv erfasst. Die Durchführung solcher Krebsregisterstudien ist jedoch durch die vom Gesetzgeber veränderten Rahmenbedingungen (AMG-Novelle) erheblich schwieriger geworden, so Borchmann abschließend.

Kinder und Jugendliche nach Krebs
In Deutschland erkranken nach Angaben des Deutschen Kinderkrebsregisters Mainz jährlich ca. 1800 Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren an Krebs. Die Überlebensraten liegen bei ihnen aufgrund der Therapiefortschritte mittlerweile bei über 80%. Damit nimmt die Zahl der Überlebenden nach Krebs im Kindesalter zu, leider aber auch die Zahl jener mit therapiebedingten Spätfolgen, wie Prof. Dr. Thorsten Langer, Leiter des "Late Effects Surveillance Systems" (LESS), ausführt. In LESS werden seit 1998 systematisch Spätfolgen der pädiatrisch-onkologischen Therapie bei über 2500 ehemaligen Ewing-Sarkom- und Osteo-, und Weichteilsarkompatienten prospektiv erfasst. Zu den wichtigsten bislang beschriebenen Spätfolgen zählen Kardiomyopathien durch Anthrazykline, Hörverlust durch Cisplatin, Tubulopathien durch Ifosfamid sowie endokrine Störungen durch Strahlentherapie und Alkylantien mit Auswirkungen auf Wachstum, Schilddrüse, Pubertätsentwicklung und Fertilität. Nur durch eine (Langzeit)-Nachbeobachtung im Rahmen von Nachsorgenetzwerken können derartige Spätfolgen erkannt, behandelt und durch mögliche Therapieanpassungen zukünftig vermieden werden, sowie die Qualität der Nachsorge und die Lebensqualität der Patienten nachhaltig verbessert werden, so Langer.

Epidemiologische Forschung mit Daten bevölkerungsbezogener Krebsregister
Krebsepidemiologische Daten werden in Deutschland seit 2009 flächendeckend in allen Bundesländern erfasst. Für Deutschland liegen auch bereits umfassende Daten zum Langzeitüberleben von Krebspatienten vor. Sie zeigen, dass die Zahl der Langzeitüberlebenden zugenommen hat, wie am Beispiel von Brustkrebs zu sehen ist: Eine Analyse aus dem Saarland zeigt für den Zeitraum 1976 bis 2008 eine kontinuierliche Verbesserung der 5-Jahres-Überlebensraten wie auch der längerfristigen Überlebensraten (1976: 64%, 2008: 84%) [10]. Bei anderen Krebsarten (CLL, Kolorektalkarzinom) ist jedoch auch noch 15 Jahre nach Diagnose eine Abnahme des relativen Überlebens (verglichen mit der altersentsprechenden Allgemeinbevölkerung) zu beobachten, berichtet der Epidemiologe Benjamin Barnes (Berlin) anhand einer gepoolten Analyse der Registerdaten aus Hamburg, Münster und Saarland. "Nicht nur die Mortalität, sondern auch das Langzeitüberleben sei ein wichtiger harter Endpunkt",  betont Barnes.

(gem)

Quellen:
[1] Arndt V et al. Age-specific detriments to quality of life among breast cancer patients one year after diagnosis. Eur J Cancer 2004;40:673-80.
[2] Arndt V et al. Sociodemographic and clinical determinants of quality of life in breast cancer one and five years after diagnosis: a population-based study. UICC World Cancer Congress 2006, oral presentation #112-3.
[3] Koch L et al. Health-related quality of life 10 years after breast cancer ‒ a 10-year prospective population-based study. DGEpi 2011 #161
[4] Fosså SD et al. Noncancer causes of death in survivors of testicular cancer. J Natl Cancer Inst 2007;99:533-44.
[5] Brydøy M et al. Paternity following treatment for testicular cancer. J Natl Cancer Inst 2005;97:1580-8.
[6] Skaali T et al. Fear of recurrence in long-term testicular cancer survivors. Psycho-Oncology 2009;18:580-8.
[8] Alemann BM et al. Long-term cause-specific mortality of patients treated for Hodgkin's disease. JCO 2003;21:3431-9.
[9] Hodgson DC et al. Individualized estimates of second cancer risks after contemporary radiation therapy for Hodgkin lymphoma. Cancer 2007;110:2576-86.
[10] Holleczek B et al. Trends in breast cancer survival in Germany from 1976 to 2008 ‒ a period analysis by age and stage. Cancer Epidemiol 2011;35:399-406.