krebsgesellschaft.de, 20.04.2012

DKK 2012

Chronische Entzündung fördert Krebsentstehung

Tumormikroenvironment: Chronische Entzündung als Schlüsselfunktion bei Krebs

Das Verständnis über zelluläre Funktionen, die in Krebszellen dereguliert sind, und über genomische Mutationen, die für diese Deregulationen verantwortlich sind, nahm in den letzten Jahren rasant zu. Dennoch erschweren die genomische Instabilität und genetische Diversität der Krebszellen die Entwicklung von Modellen, die die molekulare und zelluläre Biologie von Krebserkrankungen exakt abbilden. Zudem ist das Zusammenwirken von Mutationen und molekularen Signalwegen in den individuellen Tumoren sehr unterschiedlich. Dass auch das entzündungsähnliche Mikromilieu im Tumorgewebe die genetische Instabilität von Krebszellen fördert, darüber informierte Dr. med. Francesco Colotta (Italien) auf dem Deutschen Krebskongress im Rahmen der Plenarsitzung Hauttumoren [1].

Entzündung als siebtes "Krebskennzeichen"
In einem viel beachteten Review aus dem Jahr 2000 [2] definierten Douglas Hanahan und Robert A. Weinberg sechs prinzipielle Kennzeichen, die in fast allen Tumorzellen zum Tragen kommen. Sie stellten die Hypothese auf, dass alle oder zumindest die meisten Tumoren während ihrer Entwicklung die folgenden biologischen Eigenschaften durch Mutationen erworben haben müssen: 1) Unempfindlichkeit gegenüber wachstumshemmenden Faktoren,
2) Unbegrenztes Wachstumspotential, 3) Unabhängigkeit von exogenen Wachstumsfaktoren,
4) Resistenz gegenüber dem zelleigenen programmierten Zelltod (Apoptose), 5) Fähigkeit zur Induktion von Angiogenese, 6) Invasion und Metastasierung.

Colotta und Kollegen schlugen als weiteres und damit siebtes Krebskennzeichen die Entzündung vor [3]. Der Zusammenhang zwischen chronischen Entzündungen und Krebs ist schon seit längerem etabliert. Bekannte Beispiele sind Helicobacter pylori und Magenkrebs oder chronische Prostatitis und Prostatakrebs. Doch mittlerweile ist die Entzündung noch deutlicher ins Rampenlicht der Krebsforschung gerückt. So belegen viele Untersuchungen der letzen Jahre, dass der chronische Entzündungszustand des Immunsystems, der normalerweise der Heilung dient, im Mikroumfeld der prämaligen Gewebserkrankung bzw. des Tumors eine zweckentfremdete, krebsbegünstigende Rolle spielt, berichtete Dr. med. Francesco Colotta (Italien) am Deutschen Krebskongress [3].

Mikroumgebung des Tumors spielt besondere Rolle
Krebszellen sind von verschiedenen Arten normaler, rekrutierter Entzündungszellen umgeben, die durch proinflammatorische Signale ein entzündungsähnliches Mikromilieu schaffen. Dieses chronisch entzündete Gewebe stellt in sich bereits ein potentiell transformierendes Milieu dar, da es reich an Wachstumsfaktoren, Zytokinen und Chemokinen ist. Diese Entzündungsmediatoren triggern die genetische Instabilität der Krebszellen und fördern Wachstum, Überleben, Invasion und Metastasierung des Tumors, erklärte der Experte. Ein gutes Beispiel ist die Beziehung zwischen tumorassoziierten Makrophagen (TAM) und Tumorzellen. TAM werden durch monozytenchemotaktische Faktoren rekrutiert, die von vielen Tumorarten produziert werden und an sämtlichen Prozessen beteiligt sind, die eine erhöhte Krebsmalignität nach sich ziehen. Dazu zählen die Neoangiogenese, die Proliferation, die Invasion und Metastasierung wie auch die Hemmung der adaptiven Immunität (z.B. Suppression zytotoxischer T-Zellen) [4].

Entzündung fördert genetische Instabilität - eine fatale Symbiose
Krebs beginnt prinzipiell mit einer Reihe von genetischen und epigenetischen Veränderungen, die dazu führen, dass sich die betroffenen Zellen übermäßig vermehren und ins umgebende Gewebe wandern. Dabei entfacht die genomische Instabilität der Krebszellen das Feuer, das in der Folge von der chronischen Entzündung genährt wird. Die neuen Sequenzierungsmethoden (Next Generation Sequencing) zeigen, dass jede einzelne Krebszelle tausende genetische und epigenetische Veränderungen aufweist und eine erhebliche genetische Heterogenität sowohl bei Tumoren vom gleichen Isotyp als auch bei Krebszellen im einzelnen Tumorgewebe besteht. Es würden demnach keine zwei genetisch identen Krebszellen im gleichen Tumorgewebe existieren, betonte Colotta. Ebenso werden in Metastasen andere, zusätzliche genetische Veränderungen gefunden als in der Primärzelle. All das sei nur mit der genetischen Instabilität der Krebszellen erklärbar, so der Experte. Unterschieden werden dabei die Chromosomeninstabilität und die Mikrosatelliteninstabilität. Ersteres führt zu Translokationen, Inversionen und Deletionen; Letzteres verursacht Punktmutationen und sogenannte Frameshifts. Die multiplen, zufallsmäßigen Genveränderungen bewirken weitere DNA-Reparaturdefekte sowie Aktivierung von Onkogenen und Inaktivierung von Onkosupressoren und damit zu weiteren Defekten.

Die Liste der inflammatorischen Mediatoren, die zur genetischen Instabilität von Krebszellen beitragen, ist lang. Zytokine wie Interleukin 6 oder das Tumorsupressorgen p53 gehören ebenso dazu wie MMPs (Matrix Metalloprotheasen), PGE2 (Prostaglandin E2) oder die Transkriptionsfaktoren C-Myc und HIF1a. Insgesamt spanne sich ein äußerst komplexes Netzwerk von Signalwegen und Mediatoren zwischen Entzündungszellen und genetischer Instabilität, das Colotta 2009 in einem Review im Journal of Carcinogenesis genauer beleuchtete [3].


Quellen

[1] Colotta F et al. Vortrag "Inflamation Induced Genetic Instability" im Rahmen der Plenarsitzung Hauttumoren, DKK 2012, Berlin.
[2] Hanahan D, Weinberg RA. The hallmarks of cancer. Cell 2000;100:57-70.
[3] Colotta F et al. Cancer-related inflammation, the seventh hallmark of cancer: links to genetic instability. Carcinogenesis 2009;30:1073-81.
[4] Mantovani A et al. Cancer-related inflammation. Nature 2008;454:436–44.

In Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Jürgen Becker, Graz